Schützt die Gräber der Verfolgten des NS-Terrors!

unlängst ein Mahnmal zum Gedenken an den Holocaust an den Sinti und Roma eingeweiht. Quelle: Wikipedia.

In Berlin wurde unlängst ein Mahnmal zum Gedenken an den Holocaust an den Sinti und Roma eingeweiht. Quelle: Wikipedia.

Der Opfer der NS-Gewaltherrschaft hat sich Deutschland in der zurückliegenden Zeit häufig erinnert. Die Einweihungen von nationalen Mahnmalen für den Holocaust an den Juden sowie den Sinti und Roma steht dafür stellvertretend. Völlig vergessen werden jedoch die Gräber der Opfer. Sie werden einfach entsorgt und die Bundesregierung weigert sich zu handeln.

Der 24. Oktober 2012 war ein großer Tag: Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel weihten das Mahnmal für die während der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma in Berlin ein. Dies ist deshalb von unschätzbarer Bedeutung, weil der Holocaust an den Sinti und Roma bislang zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat: Erst 1982 erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt völkerrechtlich verbindlich den Genozid an, 1985 folgte der Bundestag. Bis Ende der 1970er Jahre war häufig davon ausgegangen worden, Sinti und Roma seien von den Nazis zu Recht als Kriminelle verfolgt worden.

Roma 1940 im Konzentrationslager Belzec.

Roma 1940 im Konzentrationslager Belzec.

Obgleich sich seither Vieles zum Besseren verändert hat, findet die Ermordung der 500.000 Sinti und Roma bis heute in der in der Öffentlichkeit nur wenig Beachtung. Deshalb spricht der Holocaust-Überlebende Sinto Zoni Weisz vom „vergessenen Holocaust“. Umso wichtiger sind Worte wie die von Kulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Mahnmalseinweihnung:

„Wir machen noch einmal deutlich, dass wir das nicht vergessen und dass wir dieses wunderbar gelungene Denkmal auch als Mahnung an die Zukunft verstehen: nicht aufzuhören den Minderheiten Schutz zu geben und die Menschenrechte zu achten. Deswegen ist dies für die Bundesregierung ein großer und wichtiger Tag. […] Es betrifft mich, es beschämt mich als Deutscher.“

Umso erschütternder ist, dass bis zum heutigen Tag viele Grabmale der Verfolgten des NS-Regimes davon bedroht sind, abgeräumt und damit entsorgt zu werden. Das geltende Gräbergesetz schützt nur Grabmale von vor 1952 Verstorbenen.

Betroffen sind nicht nur Sinti und Roma: Ob im Rahmen der Euthanasie Verfolgte, Homosexuelle, die dem NS-Terror ausgesetzt waren, Zeugen Jehovas und Juden – ihnen allen droht die Entsorgung ihrer Gräber. Zwar gilt auf jüdischen Friedhöfen ein ewiges Ruherecht. Doch all jene Verfolgte, die auf nicht-jüdischen Friedhöfen beigesetzt wurden (z.B. weil in der Heimatstadt kein jüdischer Friedhof existiert), sind von der Abräumung bedroht.

Aus meiner Sicht sollte der Schutz der betroffenen Grabstätten ein selbstverständlicher Akt des menschlichen Mitempfindens, der Mitmenschlichkeit und des gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins sein. Es ist eine wirklich unwürdige Situation.

Wer meint, es handele sich um ein Versehen der Bundesregierung, der irrt leider. Denn seit Jahren bemüht sich der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma darum, dass die Gräber erhalten werden. Doch bis zum heutigen Tag ist eine entsprechende Regelung nicht verabschiedet worden. Dies ist umso erstaunlicher da die Kosten überschaubar wären. Es sei auch daran erinnert, dass der Bund jährlich ca. 45 Mill. Euro für Kriegsgräberpflege bereitstellt.

Hinzu kommt, dass über Parteigrenzen hinweg ein Konsens über einen Neuregelungsbedarf besteht: Am 12. September 2012 hat der Bundesrat die Bundesregierung einstimmig in einer Entschließung aufgefordert, „sicherzustellen, dass die in Deutschland liegenden Gräber der Opfer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen, die nicht unter den Schutz des Gräbergesetzes fallen, öffentlich gepflegt und auf Dauer erhalten werden. Dazu soll der Bund entsprechende Mittel bereitstellen. Dabei ist sicherzustellen, dass sämtliche für die öffentliche Pflege und den dauerhaften Erhalt dieser Gräber anfallenden Kosten (insbesondere Pflege, Instandhaltung, Instandsetzung, Grabgebühren bzw. Ruherechtsentschädigungen) einschließlich der Kosten für den Verwaltungsvollzug vom Bund getragen werden. Kosten für die Länder oder Friedhofsträger dürfen hierdurch nicht entstehen.“ (Zitiert aus: Drucksache 543/12)

Bereits zuvor war ein offener Brief von Bundestagsabgeordneten aller im Bundestag vertretenen Parteien sowie von Richard von Weizäcker, Rita Süssmuth und Michael Sommer unterzeichnet worden.

Geschehen ist nichts, obwohl die Zeit drängt. Denn Woche um Woche und Monat um Monat werden bestehende Gräber abgeräumt und entsorgt – eine persönliche Erinnerungsstätte an das Leiden während der NS verschwindet.

Deshalb wurde eine Initiative zur Rettung dieser Gräber gegründet, die sich seither für eine gesetzliche Änderung einsetzt. Dieser Initiative gehören auch zwei Redaktionsmitglieder des Bretterblogs an.

Als erste Initiative bitten wir alle einen Brief an die zuständige Bundesministerin Kristina Schröder zu schreiben. Wir haben dazu zwei Musterbriefe auf unserer Homepage hinterlegt. Uns freut freilich noch mehr, wenn individuell unterschiedliche Briefe an die Bundesministerin geschickt werden, die damit der Ernsthaftigkeit des Anliegens auch äußerlich Nachdruck verleihen.

Mittlerweile reagiert das Bundesfamilienministerium im Namen von Ministerin Schröder mit einem Anschreiben auf die vielen Briefe. Doch es ist leider keinerlei Bewegung erkennbar. Zwar habe die Ministerin für das Anliegen “Verständnis”, schreibt ein Ministeriumsvertreter. Doch stünden einer Neuregelung des Gräbergesetzes juristische Hürden im Weg: So sei angesichts der langen Zeit, die seit Ende des NS-Terrors vergangen sei, ein neuer Opferbegriff notwendig, weil ein Kausalzusammenhang zwischen Verfolgungsgeschichte und Todesursache nicht mehr ohne Weiteres unterstellt werden könne. Würde die alte Regelung einfach ausgedehnt, entstünde ein „neuer und juristisch wenig präziser Opferbegriff“. Demnach könnten juristische Auseinandersetzungen drohen, die sich mit der Frage beschäftigten, wann jemand Opfer des NS-Terrors wurde. Außerdem könnten Angehörige von Verfolgten klagen, deren Grabstätten bereits abgeräumt wurden. Sie könnten sich ungleich behandelt fühlen. So sei die Ministerin zu der Entscheidung gelangt, dass man der Initiative des Bundesrates nicht folgen werde.

Diese Antwort ist an Absurdität nicht zu überbieten und empört mich zutiefst.

Das Ministerium setzt sich in seinem Schreiben zwar mit vermeintlichen juristischen Schwierigkeiten und Details auseinander. Der Sache selbst, nämlich den unendlichen Qualen den betroffenen Menschen widmet sich das Ministerium nicht. Es ist in keiner Weise erkennbar, dass, ob und wie das Bundesministerium nach einem angemessenen Weg sucht.

Auch sachlich ist das Schreiben fehlerhaft. Es ist nicht richtig, dass es einer neuen Definition bedarf, wer „zu den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung gehört“, wie der Ministeriumsvertreter schreibt.“ Wie hätten beispielsweise sogenannte “Entschädigungsgelder” gezahlt werden können ohne eine solche Definition?! Wenn das Ministerium eine Ausweitung oder Präzisierung bestehender juristischer Definitionen anstrebt, kann dies geschehen. Es ist jedoch nicht einzusehen, warum um eine zügige Lösung des bestehenden Problems, auf bestehende Gesetze zurückgegriffen wird!

Für die deutschen Sinti und Roma gilt in diesem Zusammenhang, dass der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in allen bekannten Fällen, in denen Grabrechte ablaufen, gegenüber den verschiedenen Friedhofsträgern das Verfolgungsschicksal der dort beerdigten Personen im Nationalsozialismus darlegen und unter Beweis stellen kann.

Auch die Forderung des Ministeriums, die Verfolgungsgeschichte der Betroffenen müsse eindeutig als Todesursache nachgewiesen werden, ist absurd! In den Akten der Entschädigungsbehörden und der Härtefonds für NS-Opfer ist vielfach die Tatsache durch Gutachten dokumentiert, dass die Verfolgungsmaßnahmen bei den Betroffenen regelmäßig dauerhafte Gesundheitsschäden physischer und psychischer Art hervorgerufen haben. Diese Gesundheitsschäden hatten den betroffenen Menschen für die Zeit nach der Verfolgung bis zu ihrem Tode die Lebensfreude und das Familienglück genommen, und sie waren jedenfalls auch mitverantwortlich für ihren Tod. Unsachgemäß ist es deshalb, heute für zum Teil vor vielen Jahren verstorbene Verfolgte den Nachweis einer medizinischen Kausalität zwischen Todesursache und Verfolgungsschäden zu verlangen. Hier kann und muss, wie bei anderen Gesetzen heute auch, bei Vorliegen des Verfolgungsschicksals der entsprechende Kausalzusammenhang unterstellt werden (wie zum Beispiel bei der Zwangsarbeiter-Entschädigung oder der Schweizer Holocaust-Fonds in den letzten Jahren verfahren wurde). Diese Kausalität wird übrigens bei der Bewilligung von Witwenrenten von früheren Wehrmachtsangehörigen (und SS-Angehörigen) regelmäßig unterstellt! Sie wurde auch – mehr oder weniger willkürlich – im alten Gräbergesetz bis Ende März 1952 unterstellt – im Widerspruch zu anderen Gesetzen. Auch kann ein derartiger Kausalitätsnachweis, wie ihn das Ministerium jetzt verlangen will, heute nicht das Kriterium sein, denn es geht vor allem den Sinti und Roma darum, die Gräber als Familiengedächtnisstätten zu schützen und zu erhalten. Das soll die vom Bundesrat verlangte Regelung ermöglichen.

Der Umstand, dass einige Gräber in den vergangenen Jahren bereits beseitigt wurden, ist sehr bedauerlich. Es ist aber infam, dies den Betroffenen vorzuhalten, die dafür nicht verantwortlich sind. Für derartige Fälle könnten auch Gedenktafeln am Friedhof angebracht werden, was in einigen Fällen die Betroffenen an noch bestehenden Gräbern schon gemacht haben.

Es scheint daher, dass das Bundesfamilienministerium förmlich nach Gründen sucht, eine Neuregelung zu verhindern – und das mit allen Mitteln. Über die Gründe für die Haltung der Ministerin kann nur spekuliert werden. Zunächst schien es, dass es der Regierung darum ging, die eigentlich geringfügigen Einnahmeausfälle nicht tragen zu müssen. Mittlerweile aber kann Frau Schröder wohl auch ihren politischen Fehler nicht einsehen und beharrt deshalb auf ihrer bisherigen Position.

So lässt sie mit dieser Sache wirklich unmenschlich verfahrende Briefe verschicken, die obendrein noch sachlich fehlerhaft sind.

Die Zeit drängt! Die Gräber sind jeden Tag von der Entsorgung bedroht! Das Bretterblog unterstützt daher die Initiative „Schütz die Gräber der Opfer des NS-Terrors“ und bittet auch um Eure Mithilfe.

Besucht die Webseite der Initiative und werdet aktiv!

ein Kommentar

  1. […] Bretterblog schreibt zum Thema: “Hinzu kommt, dass über Parteigrenzen hinweg ein Konsens über einen […]

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