Der Frieden in Kolumbien ist zum Greifen nah, doch die entscheidenden Verhandlungspunkte sind noch offen. Nach einem Krieg, der viel zu oft auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wurde, kann ein wirklicher Frieden nur auf Versöhnung und umfassenden sozialen Reformen aufbauen.
Friedensverhandlungen neigen sich dem Ende zu
Kolumbien steht am Ende eines 50 jährigen Bürgerkrieges und am Anfang eines sehr langen Weges zum Frieden. In Havanna führt die kolumbianische Regierung seit geraumer Zeit erfolgreich Friedensverhandlungen mit der FARC und der ELN, den beiden verbliebenen Guerillagruppen in Kolumbien. So nah war das Land dem Frieden noch nie, denn auch das Ausbleiben einer beidseitigen Waffenruhe – die Regierung führt die Kampfhandlungen gegen die FARC weiter durch aus Angst vor einem Aufrüsten dieser während der Waffenruhe – und auch das kurzzeitige Aussetzen der Friedensverhandlungen aufgrund der Entführung eines Generals der kolumbianischen Armee, schaden den Verhandlungen erstaunlicherweise nicht. Die FARC und die Regierung Kolumbiens scheinen es dieses Mal mit einem Frieden ernst zu meinen.
So konnte bereits in drei von fünf kritischen Diskussionspunkten auf der Agenda zum Friedensschluss Einigkeit erzielt werden und am Wochenende konnten sich FARC und die Regierung sogar auf die gemeinsame Räumung von Landminen (APMs) (siehe auch) einigen. Kolumbien ist eines der am stärksten verminten Länder der Welt, so dass Menschen täglich gezwungen sind weite Umwege auf sich zu nehmen, um zu ihrer Arbeit zu gelangen oder ein Gebiet gar nicht gefahrlos verlassen können. Die Einigung am Wochenende ließ die Bürger Kolumbiens aufatmen, so dass sogar die den Verhandlungen zunächst sehr pessimistisch gegenüberstehenden Kolumbianer mittlerweile daran glauben, dass die Verhandlungen erfolgreich sein können und „the point of no return“ bereits überschritten ist. Ganz unrecht haben sie mit der Einschätzung sicher nicht, sind doch bereits die Fragen der Agrarpolitik und ländlichen Entwicklung (Punkt 1), die politische Teilhabe (Punkt 2) und die Frage der Drogenpolitik geklärt. Zu klären bleibt noch, ob die FARC sich Demilitarisieren und Demobilisieren wird, oder ihre Waffen mit dem Versprechen sie nicht zu benutzen behalten werden. Ferner ist offen, ob die FARC Gefängnisstrafen in Kauf nimmt. Sie wäre die erste bewaffnete Gruppe, die nach einer Demobilisierung eine Bestrafung zu erwarten hätte. Allein schon aus diesem Grund weigert sich die FARC derzeit ihre Waffen abzugeben, um so ein besseres Verhandlungsgewicht zu haben. Das eigentlich entscheidende und schwerwiegendste Thema ist jedoch wie mit den Verbrechen der letzten 50 Jahre umgegangen werden soll.
Gerechtigkeit durch eine Wahrheitskommission?
Im Zuge der Verhandlungen wurde immer wieder der Ruf nach einer Wahrheitskommission laut. Präsident Juan Manuel Santos will diese nun schon vor Abschluss der Friedensverhandlungen einsetzen. Dies hat den Hintergrund, dass die Regierung die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in Havanna durch ein Referendum absegnen lassen möchte. Ohne ein erfolgreiches Referendum also kein Frieden. Genau hierin liegt allerdings das Problem. Die letzten Punkte der Agenda betreffen eine Demobilisierung und Bestrafung der FARC. Während die FARC und auch die ELN sich auf das internationale Kriegsvölkerrecht (ius in bello) berufen und daher für eine Amnestie plädieren, schwebt der Regierung eine (symbolische) Freiheitsstrafe für die Freiheitskämpfer der FARC und der ELN vor. Sollte die Regierung der Forderung auf Amnestie jedoch nachkommen, wird sie dabei großen Unmut bei der Bevölkerung auslösen, die mit den Guerillas schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbinden. Und auch wenn einige dieser Verbrechen nicht, oder nicht ausschließlich von den Guerillas begangen wurden, sondern auch andere paramilitärische und kriminelle Gruppen an Gräueltaten beteiligt waren, könnte eine zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochene Amnestie die Stimmung im Volk zum Kippen bringen und das Referendum scheitern lassen.
Aus diesem Grund möchte die Regierung bereits zum jetzigen Zeitpunkt eine Wahrheitskommission (für allgemeine Informationen zu Wahrheitskommissionen siehe auch) einsetzen, um – so der Plan – den Opfern so viel Gerechtigkeit zukommen zu lassen, als dass sie im Referendum für einen Frieden abstimmen, auch wenn dies Amnestie für ihre Peiniger bedeutet. Jedoch scheint sich die Regierung, insbesondere der High Commissoner for Peace, Sergio Jaramillo, der Dauer und Tragweite einer solchen Wahrheitskommission nicht bewusst zu sein und hofft diese schon nach einem halben Jahr abschließen zu können (siehe auch). Ferner betont sie, dass nicht jede Opfergruppe gehört werden könne. Der kolumbianischen Bevölkerung scheint eine solche Teilwahrheit aber nicht zu genügen. Direkt nach offizieller Ankündigung einer Wahrheitskommission haben sich zahlreiche Opfergruppen angekündigt, deren Wahrheit gehört werden soll. Die Spannweite an Opfern ist groß, von vertriebenen Bauern, über vergewaltigten Frauen bis hin zu rekrutierten Kindern. Viele, ja eigentlich fast alle Kolumbianer, sind mehr oder minder direkt Opfer von Gewalt, alle mit unterschiedlichen Geschichten. Dabei sind allerdings auch viele Opfer, die nicht durch die FARC zum Opfer wurden und deren Wahrheit an der geplanten Wahrheitskommission nicht gehört werden würden (mehr dazu und zum Versuch der Regierung durch ein Opfer-Gesetz auf die große Anzahl an Opfern zu reagieren). Daher kommt schnell die Frage auf, ob es in Kolumbien überhaupt EINE Wahrheit gibt? Die einzige Wahrheit, die existieren dürfte, ist jene, dass eine Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern kaum möglich zu sein wird. Es ist eine endlose Verkettung von Opfern, die irgendwann selbst zur Waffe gegriffen haben und zu Tätern wurden, von rekrutierten Minderjährigen, die von ihren Familien verschleppt und als Guerilleros ausgebildet wurden, von enteigneten Bauern, die sich zum Schutz den Paramilitärs anschlossen, von verarmten Jugendlichen, die durch das Drogengeschäft vom schnellen Geld träumen oder sich zum Schutz vor einer befeindeten Gruppe einer BACRIM anschließen, bis hin zu Guerilleros, die die soziale Ungerechtigkeit im Land nicht mehr ertragen und den Kampf gegen eine auf Großgrundbesitzern und Familienmonopolismus (siehe hierzu) aufbauenden Politik angesagt haben.
Im Laufe des Bürgerkrieges wurden zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen; Erpressungen, Folter, Massaker, Auftragsmorde, Anschläge, Entführungen; kein Verbrechen, das in Kolumbien undenkbar gewesen wäre. Doch längst gehen nicht alle Verbrechen auf das Konto der Guerillas, der Krieg hat sich transformiert und von der Schwäche des Staates und den guten Bedingungen des Landes zum Anbau von Drogen haben längst nicht nur die Guerillagruppen profitiert, sondern auch paramilitärische Gruppen wie die AUC und die so genannten BACRIMs (vom Spanischen Bandes Criminales – kriminelle Banden). Kolumbien verfügt über zahlreiche Gruppierungen und während paramilitärische Gruppen ein Indikator für fehlende staatliche Strukturen betrachtet werden können, die erst im Laufe der Jahre das Drogengeschäft, den Menschen- und Waffenhandel und nicht zuletzt das lukrative Geschäft mit Entführungen und Erpressungen für sich entdeckten, gründeten sich BACRIMs zum Zwecke der Durchführung illegaler Geschäfte. Und auch wenn heute paramilitärische Gruppierungen, allen voran, die AUC demobilisiert wurden, verteilten sich deren Mitglieder auf die verschiedenen kriminellen Banden, anstatt erfolgreich reintegriert zu werden. Eine Wahrheitskommission bei dieser Gemengelage an Tätern und Opfern lässt Experten vermuten, dass diese wohl eher 10 Jahre als ein halbes Jahr dauern wird und die Friedensverhandlungen getrennt von einem Wahrheits- und Versöhnungsprozess betrachtet werden müssen.
Ein Frieden für Kolumbien?
Doch wie eine Entscheidung finden, wenn die FARC sich ihrer Schuld nicht bewusst werden will, wie darauf reagieren, wenn die Bevölkerung die Verantwortlichen für ihr Leiden sucht?
Objektiv betrachtet steht fest, dass die FARC längst nicht allein schuld an der Gewalt in Kolumbien ist. Nebst den Verbrechen, die durch die kriminellen Banden verübt wurden und werden, hat auch das Militär sein Übriges getan, um Narben auf der Bevölkerung zu hinterlassen. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission ist hier sicherlich der richtige Weg, um auf lange Sicht die Schrecken der Vergangenheit zu beseitigen. Kurzfristig muss sich die Regierung allerdings etwas Besseres überlegen müssen, entweder um auf ein positives Referendum hoffen zu dürfen oder die FARC und die ELN davon zu überzeugen Gefängnisstrafen anzunehmen. Das wird ihnen jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit nur gelingen, wenn auch in den eigenen Reihen die Schuldigen an Massakern und Falsos Positivos gefunden und bestraft werden und die Kapazitäten von Polizei und Militär genutzt werden, um effektiv gegen BACRIMs vorzugehen. Erst dann wird Kolumbien einen Hauch von Post-Konflikt erleben können.