Junge AFK Panel 2: Wissenschaftlicher Zugang zur zivilen Konfliktbearbeitung als Praxisfeld

Moderation: Lawreen Masekla
Discussant: Angela Mickley

 

Alexandra Engelsdorfer: Globaler Norden – lokaler Süden? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem ‚local turn‘ im internationalen Peacebuilding

Internationale Peacebuilding Einsätze, so der Tenor sowohl in wissenschaftlichen Zugängen als auch in der Praxis zu Frieden und Konflikt, müssten stärker auf die lokale Bevölkerung der jeweiligen Konfliktgesellschaft eingehen. Schlagwörter wie local ownership und capacity building stehen dabei sinnbildlich für Politikpraktiken, die den Interventionscharakter von internationalem Peacebuilding nicht an sich infrage stellt, sondern gerade durch die Beteiligung und Selbstverantwortung der ‚lokalen‘ Bevölkerung Widerstände gegen hegemoniale Herrschaftspraktiken erschwert und ggbf. verunmöglicht. Der eigentlich emanzipative Anspruch des ‚local turn‘ (Mac Ginty 2016), musste zwangsläufig in die Leere laufen, weil die letztgültige Entscheidungsmacht über Peacebuilding Einsätze nach wie vor nicht bei der ‚lokalen‘ Bevölkerung liegt, sondern der Geberlogik UN-finanzierter Peacebuilding Maßnahmen folgt.
Damit verbunden sind Prozesse, die einerseits auf die Struktur Internationalen Peacebuildings zurückzuführen sind und andererseits bestimmten epistemologischen Annahmen folgt, die ich anhand eines Input-Vortrags skizzieren und anschließend auch im Hinblick auf mögliche Fallstricke (wie z.B. die grundlegende Infragestellung internationaler Schutzverantwortung) diskutieren möchte.
Folgende Leitfragen und darauf aufbauende Forschungsergebnisse meiner Masterarbeit strukturieren dabei den Vortrag: Was ist das ‚Lokale‘? Welche Annahmen, Konzepte und Auswirkungen sind damit verbunden? Und schließlich auch: welche Bedeutung hat dies für die Wissenschaft und Praxis der Friedens- und Konfliktforschung?
Die Zusammenführung raumtheoretischer und dekolonialer Ansätze ermöglicht erhellende Einblicke in den Zusammenhang von Raumkonzeptionen und epistemischer Gewalt. Globale und lokale Räume/Skalen/Orte gelten bis jetzt in der Friedens- und Konfliktforschung überwiegend als quasi-natürliche Einteilungen, innerhalb derer Peacebuilding –Einsätze ablaufen. In der kritischen Geographie, die Räume als Produkte sozialer Handlungen und Beziehungen und weniger als neutrale Handlungsbühne verstehen, wie es in der ‚klassischen‘ Geographie der Fall ist, finden sich Ansatzpunkte, die eine explizite Überprüfung von Raumherstellungsmechanismen und deren Bedeutung für Herrschafts- und Machtansprüche erlauben. So verdeutlicht bspw. Doreen Massey (1999; 2005), wie global und lokal als binäres Raummodell wirksam werden. Während lokal als subjektiv, authentisch, greifbar und nah verstanden wird, so referiert global als Gegenstück dazu auf eine neutrale, abstrakte, körperlose und ferne Ebene. Marston et al. (2005) führten ihre Kritik an einer Einteilung in globale und lokale Ebenen sogar so weit, dass sie eine gänzliche Verwerfung des Ebenenkonzepts als in seinem Ursprung hierarchisch forderten. Die Auffassung einer strikten Unterscheidbarkeit von lokalen und globalen Räumen lässt sich auch aus Sicht dekolonialer Theorien, vornehmlich der Kolonialität des Wissens (Castro-Gómez 2005; 2007, Grosfoguel 2007, Mignolo 2009, 2012), infrage stellen. Diese kritisiert eine dichotome Epistemologie als Fundament und Grundproblem einer eurozentrischen Sicht auf Entwicklung, Fortschritt und letztlich auch Frieden, die der Logik unterentwickelt vs. entwickelt, traditionell vs. fortschrittlich, Wissensobjekt vs. Wissenssubjekt und Globaler Süden vs. Globaler Norden (Engels 2014; 2016) folgt. Die Dichotomie wird dann gewaltvoll und somit zur epistemischen Gewalt, wenn damit andere Formen von Gewalt sowie Herrschaftsansprüche legitimiert und gerechtfertigt werden (vgl. Brunner 2016a; 2016 b). Lokal und global sind in die Tradition dieser eurozentrischen Dichotomien zu setzen, wie der Vortrag zeigt. Gerade am Beispiel von PB-Interventionen lässt sich nachzeichnen, wie das ‚Lokale‘ als Legitimation zur Aufrechterhaltung eines liberalen Konzepts von PB (Heathershaw 2013) dient und welche letztendlich essentialisierenden, homogenisierenden und romantisierenden Auswirkungen dies auf die ‚lokale‘ Bevölkerung hat. Verschleiert die Vorstellung von lokaler Betroffenheit und globalen PB-Standards die Nord-Süd Asymmetrie im Peacebuilding?

Anne Menzel: Zwischen Herrschaftswissen und Irrelevanz? Feldforschung und das Ringen mit der Policy-Relevanz

Feldforschung in Krisengebieten und Nachkriegsgesellschaften ist aus der aktuellen Friedens- und Konfliktforschung, die zunehmend Policy-relevant sein soll und will, nicht mehr wegzudenken. Feldforschung ist von zentraler Bedeutung für die Erarbeitung von Wissen für und über Peacebuilding-Maßnahmen; und angesichts oft enttäuschender Peacebuilding-Ergebnisse, die einen stetigen Bedarf an Verbesserungswissen produzieren, nimmt die Nachfrage nach Daten aus den jeweiligen Interventionskontexten stetig zu. Mein Beitrag wirft die Fragen auf, inwieweit und inwiefern Feldforschung unter dem Imperativ der Policy-Relevanz auch abseits der Produktion von Verbesserungswissen kritische Potenziale bereithält und wie diese sich realisieren lassen. Als eine vielversprechende Möglichkeit, das Ringen mit der Policy-Relevanz produktiv zu gestalten, wird die feldforschungsbasierte Suche nach Perspektivwechseln und die Konfrontation von Peacebuilding-„Wahrheiten“ vorgeschlagen und anhand von zwei Forschungsbeispielen illustriert.

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