Die „Psychiatrie“ in der Bibliothek, oder: der inszenierte Irrtum

Rätsel über Rätsel gibt die Ruine in der Mitte der neuen "BSP-Bibliothek" im Frankfurter Westend auf.

Rätsel über Rätsel gibt die Ruine in der Mitte der neuen „BSP-Bibliothek“ im Frankfurter Westend auf.

Die Frankfurter SozialwissenschaftlerInnen haben eine neue Bibliothek. Auch wenn man den alten Charme des „Turms“ mit all seiner kritischen Geschichte vermissen kann: die neue Bibliothek ist wirklich wunderbar geworden. Originell ist jedoch eine Posse um ein altes Gemäuer in der Mitte des Lesesaals…
Wenn Frankfurter Studierende der Sozialwissenschaft (und der Psychologie) auf Geistesblitze in der neu erbauten Bibliothek auf dem Campus Westend hoffen, dann tun sie dies in einer skurrilen Umgebung. Denn mitten in Bibliothek steht – sehr zentral im Untergeschoss gelegen und deutlich erhöht – ein altes Gemäuer, das bei den Bauarbeiten freigelegt und erhalten wurde.
So löblich es ist, Überreste vergangener Zeiten zu konservieren, so wirkt die Inszenierung des Gemäuers doch bizarr in einer ansonsten für meinen Geschmack rundum gelungenen Bibliothek. Bizarr ist allerdings nicht nur der Anblick: Denn hinter der Ruine verbirgt sich offenbar eine unglaubliche Geschichte von Inkompetenz:
Wie mir vor wenigen Tagen ein Mitarbeiter der Bibliothek erzählte, wurde die Ruine aufgrund einer Intervention des Denkmalschutzes erhalten. Die Beamten sahen hierin ein sakrales Gebäude aus der Zeit der Gotik – eine Analyse auf die ich als Laie mein Lebtag nicht gekommen wäre. Doch wofür hat man Experten?!
Rasch stellte sich diese erste Analyse jedoch als Fehlmeldung heraus. Das Amt lieferte auch gleich die zweite Interpretation, die sich gerüchteweise bis heute hält: Demnach verberge sich hinter den steinernen Resten eine alte Mühle.
Nach Auskunft des Bibliothekars ist dies von Frankfurter Archäologen nun aber offenbar auch widerlegt worden. Ihnen zufolge ist es der Eiskeller einer Psychiatrie aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Besonders antik scheint das so großartig inszenierte Mauerwerk also nicht zu sein.
Trotzten Studierende am Pfingstsamstag nicht nur dem überragend guten Wetter draußen und enthielten sich der großen Feierlichkeiten um den Einzug der Frankfurter Eintracht in den Europapokal und hofften sie auf „pfingstliche“ Erleuchtung in der Frankfurter Bibliothek, so tat sie dies offenbar nicht in Gesellschaft heiliger, gotischer Hallen.

"PEG" heißt die neue "Heimat" der Frankfurter Sozialwissenschaftler - ein starker Kontrast zum legendären "Turm".

„PEG“ heißt die neue „Heimat“ der Frankfurter Sozialwissenschaftler – ein starker Kontrast zum legendären „Turm“.

Noch ist nicht überlieft, ob dies die Wahrscheinlichkeit göttlicher Erleuchtung in den offenbar profanen Hallen reduziert. Es ist jedoch zu vermuten, dass der sicherste Weg zu Erkenntnis weiterhin ehrliche Lesearbeit, Kreativität und Eigenengagement bleiben.
Umgekehrt bleibt zu hoffen, dass auch die Psychiatrie den Studierenden erspart bleibt, wenngleich das ewige Wasser-Getrinke inklusive klappern und rumnuckeln an den PET-Flaschen mir hin und wieder wie ein sich rasant ausbreitender Wahn vorkommt.
Apropos Wasser: Der Neubau hat gleich noch eine ungewöhnliche Geschichte: Da sich die Bauarbeiten verzögerten, lagerte sich offenbar Bakterien und Keime in den Wasserrohren ab. So kam es, dass aus den Leitungen kein Trinkwasser floss und bis heute ist wohl eher Vorsicht beim Verzehr des Leitungswassers zu empfehlen bleibt.
Nötig war der Neubau geworden, weil die Goethe Universität Frankfurt am Main Zug um Zug den Campus im Stadtteil Bockenheim auflöst und auf andere Campi verlegt – die Sozialwissenschaften ins Westend. So musste der Fachbereich „Gesellschaftswissenschaften“ den berühmt-berüchtigten „Afe-Turm“ verlassen, ein baulich höchst unattraktives Hochhaus, von Beton dominiert, in dem so ziemlich alles kaputt war, besonders legendär: die häufig steckenbleibenden Aufzüge, die überdies nur in jedem achten Stockwerk hielten. Doch „der Turm“, wie er in Frankfurt nur genannt wird, atmete förmlich die kritische Tradition der Frankfurter Sozialwissenschaften. Insofern tat der Umzug vielen weh – so auch mir.
Von der kritischen Tradition in den Schoß Gottes – offenbar sollte ein solcher gravierender Umzug nicht sein. So passt die seltsam fremd wirkende Ruine der alten Psychiatrie eigentlich ganz gut in die neue Bibliothek. So gilt weiterhin: kühlen Kopf wahren, fleißig lesen und dabei den eigenen kritischen Geist schulen. Nur abwarten und auf den Heiligen Geist und seine Erleuchtung hoffen, bleibt wohl zu wenig. In diesem Sinne wünscht das „Bretterblog“: Frohe Pfingsten.

ein Kommentar

  1. :D
    So mag die geistige Erleuchtung für den Sozialwissenschaftler ausbleiben, vielleicht ist dies bei den Psychologen und Erziehungswissenschaftlern aber anders. Man stelle sich die Geschichten vor, die diese Mauern der Psychiatrie erzählen können, welchen Wahnsinn und welch skurrilen Methoden den irr geleiteten Menschen zu helfen, ja sie zu erziehen. Da muss bei Psychologen und Pädagogen ja förmlich die Kreativität sprießen! :)

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