Abgelehnt – Chance auf eine Stärkung der Rechte indigener Völker vertan

Angehöriger des Dongria Kondh-Volkes vor der Bergkette von Niyamgiri in IndienCopyright: Survival International

Angehöriger des Dongria Kondh-Volkes vor der Bergkette von Niyamgiri in Indien
Copyright: Survival International

„In rund 170 Jahren könnte es dann endlich soweit sein“, meint Valeska Ebeling von der Menschenrechtsorganisation Survival International mit leichter Ironie. Denn wenn es nicht schneller geht als bisher, werden erst dann alle Staaten das einzige rechtlich verbindliche Abkommen zum Schutz indigener Völker ratifiziert haben. Bisher sind es erst 22 Länder, die die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO 169) ratifiziert haben.

Das Abkommen selbst wurde 1989 von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) unter dem Titel „Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern”2 verabschiedet und trat 1991 in Kraft. Es beinhaltet eine Reihe von Vorschriften, die zur Verwirklichung der fundamentalen Menschenrechte der weltweit rund 370 Millionen Angehörigen indigener Völker beitragen sollen. Darunter etwa die Aufforderung, Diskriminierung im Zugang zu Bildung entgegenzuwirken oder indigene Rechtssysteme im Rahmen innerstaatlicher Bestimmungen und internationaler Menschenrechte zu berücksichtigen.

Besondere Relevanz erhält das Abkommen jedoch dadurch, dass es das Recht indigener Völker auf ihr angestammtes Land bestätigt, welches für indigene Gesellschaften als Lebensgrundlage und Teil ihrer Identität eine herausragende Rolle spielt, jedoch selten im Grundbuch verbrieft ist. Zudem schreibt die Konvention das Recht auf Mitbestimmung indigener Gemeinden bei sie betreffenden Projekten fest.

Die Konvention trägt damit der Tatsache Rechnung, dass indigene Völker weltweit zu den am stärksten diskriminierten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen zählen. Sie greift mit dem Schutz der Landrechte auch eine der größten Bedrohungen indigener Völker auf. In Indien etwa, das mit über 80 Millionen Angehörigen die zahlenmäßig größte indigene Bevölkerung hat, schätzt man, dass allein zwischen 1951 und 1990 über 9 Millionen Indigene von ihrem angestammten Land vertrieben wurden – die meisten ohne Entschädigung und allein gelassen mit der resultierenden Armut. Durch den Wirtschaftsboom des Landes, dem Hunger nach Rohstoffen und der fortbestehenden Diskriminierung indigener Völker, ist der effektive Schutz ihrer Landrechte daher eine zentrale Herausforderung.

Auch Indien hat die Konvention ILO 169 bisher nicht ratifiziert und es scheint auch kaum verwunderlich, warum angesichts des Dursts nach Land und Rohstoffen, mehr Rechte und Mitbestimmung für die indigene Bevölkerung nicht im Interesse der Regierung sind. Doch auch in Staaten, die ILO 169 ratifiziert haben, hat sich ihre Wirkung bisher nicht ausreichend entfalten können. Zwar berücksichtigen viele Gerichte bei Entscheidungen zugunsten indigener Völker das Abkommen, doch die darin festgeschriebenen Rechte werden von Entscheidungsträger noch zu häufig als verhandelbar oder nebensächlich eingestuft.  Dies gilt insbesondere dann, wenn es wie bei Brasiliens berüchtigtem Belo-Monte-Staudamm um die Durchsetzung großer Infrastrukturprojekte oder die Ausbeutung von Rohstoffen geht.

Ohne Frage bedarf das Abkommen daher einer größeren internationalen Akzeptanz, um mehr Gewicht für die Rechte indigene Völker zu entfalten. Dies war auch einer der Gründe, warum die Niederlande und Spanien das Abkommen ratifizierten, obwohl sie keine eigene indigene Bevölkerung besitzen. Zudem erkannten beide Länder an, dass ihre Politik durchaus Relevanz für indigene Völker weltweit entfalten kann. Doch viele Staaten sträuben sich noch gegen das Abkommen, so auch Deutschland.

Was dahinter steht, zeigte erst Ende Februar 2013 eine Debatte zu der Ratifizierung der ILO-Konvention 169 im Deutschen Bundestag. Zur Sprache kamen erneut allerlei Gründe, die angeblich einer Ratifizierung im Weg stehen würden. Darunter etwa die Behauptung, dass ILO 169 für Deutschland nicht relevant sei, weil es hierzulande keine indigene Bevölkerung gibt. Doch weder stützt der Wortlaut der Konvention dieses Argument, noch tut es die Ratifizierung der Konvention durch Staaten wie Spanien oder die Niederlande. So wird auch oft ein zweites, gegenteiliges Argument angeführt, demnach eventuell in Deutschland lebende Gruppen wie Friesen oder die Sinti und Roma doch unter die Konvention fallen könnten. Neue Rechtsansprüche und Missbrauchsmöglichkeiten würden entstehen. Doch auch hier hilft der Verweis auf andere Staaten und auf die Internationale Arbeitsorganisation selbst, um zu belegen, dass diese Ängste unbegründet sind – davon abgesehen, dass ein legitimer Anspruch auf Rechte aus ILO 169 niemals ein Grund sein kann, diese Recht zu verweigern.

Doch neben den bekannten Argumenten, stach vor allem eines bei dieser Debatte hervor: Die in ungewohnter Klarheit formulierte Sorge darüber, dass deutsche Unternehmen haftbar gemacht würden für Schäden und Rechtsverletzungen, wenn sie bei Projekten in indigenen Gebieten nicht die notwendige Sorgfalt walten lassen. Eine schockierende Argumentation, denn sie legt nahe, dass in Kauf genommen wird, dass deutsche Unternehmen die Rechte indigener Völker nicht einhalten und eine Ratifikation, das heißt eine Stärkung indigener Rechte, deshalb lieber vermieden wird. Dafür spricht auch, dass die größte Opposition zur Ratifizierung bisher aus dem deutschen Wirtschafts- und Innenministerium kommt.

Außer Acht gelassen wurde dabei, dass ILO 169 zwar konkretisiert, welche Rechte indigenen Völkern zustehen, sich eine „menschenrechtliche Sorgfaltspflicht“ für Unternehmen jedoch bereits aus den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen ergibt. Dies ist also eher ein starkes wirtschaftliches Argument für eine Ratifikation – wie auch die Internationale Arbeitsorganisation selbst wiederholt erklärt hat. Ein Unternehmen wird durch die Ratifikation nicht behindert, die Möglichkeit die Einhaltung von ILO 169 zu demonstrieren ist vielmehr der beste Schutz eines Unternehmens gegen rechtliche Anfechtung. Für indigene Völker würde eine Prüfung nach ILO 169 zudem bedeuten, dass Projekte, die gegen ihre Rechte verstoßen, frühzeitig erkannt werden. Dies ist gerade dann relevant, wenn die Behörden in ihren jeweiligen Heimatstaaten die nötige Sorgfalt vermissen lassen und ihre Schutzplichten verletzen.

Es ist bedauerlich und ein herber Rückschlag für die Rechte indigener Völker, dass Deutschland die Konvention nicht ratifiziert. Deutsche Unternehmen sind in indigenen Gebieten aktiv und deutsche Umwelt-, Entwicklungs-, Außen- und Außenwirtschaftspolitik hat Auswirkungen auf indigene Völker. Eine konkrete Überprüfung von Projekten anhand der Rechte aus der ILO-Konvention wäre daher ein sinnvolles Mittel, um Schaden von indigenen Völkern abzuwenden und Rechtsverletzungen zu erkennen, bevor Fakten geschaffen sind. Eine Ratifikation durch Deutschland wäre zudem ein starkes und notwendiges Signal, um ILO 169 international endlich die Kraft zu verleihen, die für indigene Völker einen Unterschied machen würde.

Die wenigsten von ihnen werden noch 170 Jahre warten können.

Dies ist ein Gastbeitrag von Linda Poppe, Koordinatorin der Menschenrechtsorganisation Survival International in Deutschland. Survival setzt sich seit 1969 weltweit für die Rechte indigener Völker ein und erhielt dafür den Alternativen Nobelpreis (Right Livelihood Award 1989).

ein Kommentar

  1. […] der Rechte Indigener: Leider wenig Wandel ist in Sachen Rechte indigener Gruppen zu erwarten, wie Linda Poppe von Survival International beim Bretterblog […]

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