Kurz & Knapp: Fachschaften gegen einen überstürzten Krieg

Am vergangenen Freitag stimmte der Bundestag mit deutlicher Mehrheit für einen Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Bereits am Donnerstag veröffentlichten die Fachschaften der Friedens- und Konfliktforschungs-Studiengänge in Frankfurt, Magdeburg, Marburg und Tübingen eine Stellungnahme in der sie erläutern, weshalb ein überstürztes Eingreifen in Syrien falsch sei. Inzwischen wird die Erklärung auch von anderen Studierenden, Lehrenden sowie Professorinnen und Professoren der Friedens- und Konfliktforschung unterstützt. Hier die Kernpunkte des Statements:

http://www.fuk-fachschaft.de/

„Die deutschen Fachschaften der Friedens- und Konfliktforschung verurteilen den Vorstoß der Bundesregierung zu einem vorschnellen und unüberlegten Militäreinsatz im Syrienkonflikt. Wissenschaftler*innen der Friedens- und Konfliktforschung verweisen regelmäßig auf den komplexen Konfliktkontext Syriens auf lokaler und internationaler Ebene, der vielschichtige Lösungsansätze benötigt. Dennoch will die Bundesregierung auf eine vereinfachende und alleinig militärische Lösung zurückgreifen, die dem Konflikt nicht annähernd gerecht wird und verheerende Folgen nach sich ziehen würde. Damit zieht Deutschland aus falsch verstandener Solidarität in einen Krieg, in dem verschiedene Akteur*innen geostrategische Machtinteressen auf dem Rücken der syrischen Bevölkerung auskämpfen. Die Unterzeichner*innen dieses Aufrufs fordern die Bundesregierung und das Parlament auf, keine Beschlüsse ohne eine umfassende öffentliche Debatte zu fällen und auf ein überstürztes militärisches Eingreifen in Syrien zu verzichten.“

Im Einzelnen erläutern die Fachschaften, dass nicht nur die Problemlagen und Fronten im syrischen Bürgerkrieg hochkomplex seien, sondern dass diverse Großmächte mit verschiedensten Interessen involviert seien: „Machtkämpfe zwischen Saudi-Arabien und dem Iran sind dabei von ebenso großer Bedeutung wie das russische, amerikanische und europäische Streben nach Einfluss in der Region, ganz abgesehen von Zielen der Türkei und kurdischer Gruppierungen“.

Es gebe aus Sicht vieler Friedensforscherinnen und Friedensforscher keinen einheitlichen, einfachen Lösungsweg. Ein strategieloser Angriff auf den IS „weder den Konflikt in der Region noch die internationale Bedrohung durch Terroranschläge“ lösen, so die Studierenden-Vertreterinnen und –Vertreter. Auch wenn der IS „erschreckend“ sei, müsse er als Symptom einer Problemlage verstanden werden, an deren Entstehung der Westen ebenfalls einen Anteil habe, „durch Waffenlieferungen, Unterstützung despotischer Regime und Destabilisierung fragiler Gleichgewichte, beispielsweise im Irak“. Zwar müsse man sich politisch und wissenschaftliche mit dem IS auseinandersetzen und gegen ihn vorgehen.

„Aber es ist fatal, die Selbstinszenierung der Terrororganisation als eine Inkarnation des Schreckens einfach zu übernehmen und als Reaktion auf die Bedrohung in einen Krieg zu ziehen, der die komplexen Machtverstrickungen vollständig ignoriert.“ „Der Westen“ gegen „den Islam“: Diese viel zu vereinfachenden Kategorien des „Kampfs der Kulturen“ beschwören gefährliche Fronten herauf, mit denen die politischen Akteure der Strategie des „IS“ direkt in die Hände spielen.“

Auch fehle es an einem eindeutigen Mandat der Vereinten Nationen und die völkerrechtliche Grundlage der Intervention sei umstritten, sow die Fachschaften weiter. Sie weisen zudem darauf hin, dass nicht nur der IS, sondern auch das Assad-Regime die Bevölkerung terrorisiere und letzteres für viele Syrerinnen und Syrer der zentrale Fluchtgrund sei. Jahrelang hätten die internationale Gemeinschaft und Europa den Ruf syrischer Zivilisten nach Schutz und Hilfe ignoriert. Nun werde übereilt interveniert, ohne eine Strategie zur Sicherung der vom IS befreiten Gebiete und deren Wiederaufbau zu haben:

„Erst jetzt, da sich ganz Europa existenziell bedroht sieht, stürzt sich Deutschland Hals über Kopf mit militärischem Engagement in die Region. Nicht abschließend geklärt ist jedoch, welche der heterogenen Akteure Verbündete und welche Gegner sind oder was passieren soll, wenn die Stellungen des „IS“ zerstört sind.“

Angesichts dessen fordern die Fachschaften der der Friedens- und Konfliktforschungs-Studiengänge in Frankfurt, Magdeburg, Marburg und Tübingen eine öffentliche Debatte über den Einsatz und die Strategie in der Region und die Anhörung wichtiger Experten durch den Bundestag ein, bevor Entscheidungen gefällt werden.

Auch müsste Konfliktprävention innerhalb der europäischen Gesellschaften endlich thematisiert und angegangen werden:

„Soziale Ausgrenzung und fehlende Lebenschancen, die bestimmte Menschen strukturell an den Rand der Gesellschaft drängen, müssen direkt hier von Seiten der europäischen Gesellschaften und ihren Regierungen als Ursache für terroristische Anschläge in Betracht gezogen und bearbeitet werden.“

Die Fachschaften sprechen sich aus diesen Gründen gegen diese „unvorbereitete und kontraproduktive militärische Reaktion Deutschlands“ aus:

„Solidarität mit den Opfern der Anschläge in Paris kann nicht durch Bombardements erreicht werden. Solidarität mit Frankreich darf auch nicht bedeuten, die Lage der Zivilbevölkerung in Syrien zu verschlimmern, indem den Bündnispartnern unüberlegt in den Krieg gefolgt wird. Unter Bombardierungen leiden in erster Linie immer Zivilist*innen“.

 

Die Stellungnahme kann über die Homepage der Fachschaft der Friedens- und Konfliktforschung an der Uni Marburg mitgezeichnet werden. Dort findet sich die Stellungnahme in voller Länge und inklusive kleinerer nachträglicher Korrekturen: http://www.fuk-fachschaft.de/

Die oben im Text verlinkte Stellungnahme wurde auf der Homepage der Fachschaft 03 der Goethe-Uni veröffentlicht: https://fachschaft03.wordpress.com/2015/12/03/weshalb-ein-ueberstuerztes-eingreifen-in-syrien-falsch-ist-eine-antwort-der-deutschen-fachschaften-friedens-und-konfliktforschung-auf-das-vorhaben-des-militaereinsatzes-der-bundesregierung/

ein Kommentar

  1. Ohne den Beschluss des Bundestages voll und ganz zu unterstützen, finde ich eher diesen Beitrag voreilig und unüberlegen. Unüberlegen, weil hier „Argumente“ präsentiert werden, die „Kritiker“ oft als Vorlage benutzen, wenn es um Krieg geht.

    Erstens sehe ich die komplexen Machtverstrickungen nicht als Grund für das Heraushalten, weil es ein naiver Gedanke ist, dass ein Militäreinsatz nur denkbar wäre, wenn alle Spieler dessen Ziele voll und ganz teilen. Die Alliierten im zweiten Weltkrieg waren sich nicht unbedingt über Fronten, Timing und Nachkriegsweltordnung einig. Letzteres war der Grund für den Kalten Krieg mit seinem nuklearen „Brinkmanship“. Wer würde sagen, dass der Sieg über Nazismus es nicht wert war?

    Zweitens ist es zwar richtig, dass der Einsatz das Problem der Terroranschläge nicht lösen wird. Der wird aber auch nicht so verkauft. In diesem Sinne: Strohmann-Bekämpfung sieht sich zwar gut an, verfehlt aber das Thema. Dass der Westen mitschuldig an der Problemlage ist, ändert nichts an der Sache. Man kann die Intervention im Irak nicht rückgängig machen und den IS zu bitten, die Waffen abzugeben, weil sie aus fragwürdigen Quellen kommen.

    Drittens ignorieren die Unterzeichner die Tatsache, dass die Narration „der Westen gegen Islam“ nicht erst jetzt entsteht, sondern zumindest seit Osama bin Laden immer – mit Tiefen und Höhen – präsent war.

    Viertens ist das Mandat der Vereinten Nationen kein Selbstzweck und eine dumme Ausrede. Seit dem Beginn des Konflits hat sich die UNO nur lächerlich gemacht. Dasselbe gilt auch für die Ukraine-Krise. Die UNO ist keine Weltregierung, und der Weltsicherheitsrat ist lediglich ein Instrument der Großmächte, mit dem sie ihrem Handeln Legitimitätsglanz verleihen. Und übrigens war das UNO-Mandat im Fall Libyen für Deutschland nicht besonders motivierend.

    Fünftens ist „eine umfassende öffentliche Debatte“ bei Militäreinsätzen eine deutsche Erfindung, die als Entschuldigung für die „Kultur des Heraushaltends und Wegduckens“ dient.

    Im Übrigens wundere ich mich, was hier die Ingeration zu suchen hat. Misslungene Integration ist natürlich der Nährboden für Syrien-Legionäre. Der Prozess der Integration und Reintegration der Rückkehrer dauert aber Jahre und Jahrzehnte und somit nicht ausschlaggebend für die Entscheidungen die in Zeitnot getroffen werden müssen.

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