Medien des Monats: „Never sorry!“

Zwei Bücher und ein Film zeichnen ein sehr gutes Portrait des chinesischen Künstlers und politischen Aktivisten Ai Weiwei.

Zwei Bücher und ein Film zeichnen ein sehr gutes Portrait des chinesischen Künstlers und politischen Aktivisten Ai Weiwei.

Wenn die Rede auf China kommt, dann fällt meist sehr schnell ein Name: Ai Weiwei, der bekannteste Gegenwartskünstler des „Reichs der Mitte“. Aber wer ist dieser Mann? Zwei Bücher und ein Film zeichnen ein umfassendes Bild eines beeindruckenden Mannes – unsere „Medien des Monats“ statt eines einzelnen „Buchs des Monats“.

Ein Mittelfinger gen „Verbotene Stadt“ auf dem Cover: Als ich die DVD „Never sorry!“ vor einigen Monaten in einer Londoner Galerie am Hydepark fand, schlug ich sofort zu, obwohl ich gar keine sonderliche Leidenschaft für Filme habe. Besitzen muss ich schon gar nicht.

Aber der Mann, der in diesem beeindruckenden Film von Alison Klayman auf wirklich hervorragende Weise porträtiert wird, fasziniert mich wie viele andere Menschen seit Jahren: der chinesische Künstler und politische Aktivist Ai Weiwei. Denn Ai ist in einer mich tief bewegenden Art und Weise authentisch, menschenfreundlich, gradlinig, prinzipientreu und doch niemals dogmatisch.

Künstlerisch lässt er sich mit keiner Kategorie fassen. Und meint man ihn gerade durchdrungen zu haben, macht er sicher schon wieder ein anderes, völlig neues Projekt. Politisch bietet er dem chinesischen Regime die Stirn, tritt für Freiheit und Gerechtigkeit, vor allem für Rechtssicherheit ein. So überwachte er im vergangenen Jahr seine eigene Wohnung mit Videokameras 24/7 und übertrug die Bilder live ins Internet in Anspielung auf die umfassende Überwachung seiner Person. Auf Anordnung der Behörden musste er die Kameras aus seinen Privaträumen nach einigen Wochen wieder entfernen.

Dem deutschen Publikum wurde Ai Weiwei erstmals durch seine Teilnahme an der documenta 12 in Kassel im Jahr 2007 bekannt. Dort stellte er seine „Kunstwerke“ „Fairytale“ und „Template“ aus. Beide erhielten eine enorme Aufmerksamkeit, fielen sie doch durch ihre ungewöhnliche Geschichte auf: „Template“ entsprach noch weitgehend gängigen Kunstvorstellungen, hatte Ai doch alte Türen – zumeist aus der Qing-Dynastie – zu einer Skulptur zusammengefügt. Diese erwies sich jedoch als dem Kasseler Wind nicht gewachsen und fiel rasch in sich zusammen. Doch während die Presse sich noch bestürzt zeigte, erklärte Ai, er finde diese Entwicklung großartig und das Kunstwerk nun wesentlich aufschlussreicher. Für „Fairytale“ wiederum brachte Ai 1001 Stühle und 1001 Chinesinnen und Chinesen nach Kassel, die sich dort ganz normal aufhielten. Diese „lebenden Kunstwerke“ machten Ai in Deutschland auf einen Schlag bekannt, zumal er sich rasch als prägnanter, kluger Kopf erwies, der sich niemals scheut, Unbequemes auszusprechen.

Dies bekam die chinesische Regierung insbesondere seit dem Erdbeben von Sichuan im Jahr 2008 zu spüren. Geschätzte 70 000 Menschen waren dem Beben erlegen, ganz besonders viele Kinder, denn es war am Vormittag gekommen, als viele Kinder die Schulbank drückten. Aufgrund von Korruption entsprachen viele Schulen jedoch den Bauvorschriften nicht und stürzten sehr viel schneller ein, als gewöhnliche Wohnhäuser. In China sprach man von „Tofu-Architektur“.

Die Regierung, die Kritik an der grassierenden Korruption fürchtete, versuchte das Ausmaß der Katastrophe zu vertuschen. So entschloss sich Ai Weiwei in die Krisenregion zu reisen, die Namen der Kinder, die dem Beben zum Opfer gefallen waren, zu sammeln und ihnen damit die letzte Ehre zu erweisen. Dabei suchte und fand Ai viele freiwillige Helferinnen und Helfer im Internet über seinen Blog, der noch im Jahr 2009 von den Behörden geschlossen wurde.

Zwei Jahre später erschienen dann in deutscher Übersetzung ausgewählte Einträge aus dem Blog in Buchform im Galiani Verlag.

Dieses einmalige Buch bildet ein unglaublich gelungenes Portrait dieses so beeindruckend mutigen Mannes: Denn jedes dieser Blogeinträge bildet ein Mosaiksteinchen, die zusammengesetzt ein Bild von Ai Weiwei, dem Rastlosen, zeichnet, der sich beständig verändert, niemals das Gleiche macht. Ai lässt sich niemals greifen, ist auf nichts reduzieren. Er ist facettenreich und unberechenbar: So entwarf er beispielsweise das Pekinger Olympiastadion mit, das unter dem Namen „Vogelnest“ bekannt wurde, um schließlich verlauten zu lassen, die Olympischen Spiele in Peking seien ein großes Übel. Seine Haltung führte zu seinem eingangs erwähnten Foto auf dem Cover von „Never sorry“, auf dem er der „Verbotenen Stadt“ den „Stinkefinger“ zeigt.

Bei aller Grandiosität des Buches ist es für den „Nicht-Ganz-So-Interessierten“ ein mühsam zu lesendes Portrait, denn es besteht aus unzähligen zumeist sehr kurzen Beiträgen zu den unterschiedlichsten Themen – politische, private, künstlerische, sozial-gesellschaftliche – auf fast 500 Seiten. Wer sich aber die Zeit und die Mühe macht, sich dem gesamten Panorama dieser Persönlichkeit zu öffnen, wird von diesem mutigen und gleichsam einfühlsamen Mann tief bewegt sein.

Neben den vielen sehr unterschiedlichen Kunstprojekten von Architektur, über Skulptur, Fotographie, bildender Kunst, Film bis hin zu den ungewöhnlichsten Performances lässt sich auch die politische Radikalisierung Ais in eindrucksvoller Weise nachvollziehen. Sein Mut vor allem bei seinem Kampf für Rechtsstaatlichkeit in einem autoritären Staat wie der Volksrepublik China hat mich sehr bewegt. Ein Post aus dem Jahr 2009, in dem Ai eine reale Begebenheit schildert, bringt dies auf den Punkt:

Als ich zum Wagen zurückkehrte, stellte ich fest, dass meine Mutter angerufen hatte. Ich rief zurück. Sie war nervös und teilte mir mit, dass zu Hause vier Polizisten in Zivil auf mich warteten, die unablässig Fragen nach meinem Haus in der Nähe der Flughafenautobahn stellten. Ich sagte ihr, dass ich sofort kommen würde. […]

 Es waren Leute vom Sicherheitsdienst, und obwohl sie durchaus freundlich waren, konnten sie sich nicht ausweisen, und ich lehne es ab, mit jemandem zu sprechen, dessen Identität unklar ist. Sie sagten, ihr Kollege habe einen Ausweis, und ich antwortete, Bill Clinton sei mein Kumpel. Als sie begannen, an meine Gefühle zu appellieren (mein meistgehasstes Tabu), sah ich mich gezwungen, sie vor die Tür zu setzen. Ich hatte keine andere Wahl als 110 anzurufen. Als die Polizei schließlich auftauchte, versuchten mir diese beiden erbärmlichen Beamten – die sich ebenfalls nicht ausweisen konnten – zu erklären, dass ich selbst sie gerufen hätte. Ich klärte sie darüber auf, dass ich ein Steuerzahler sei, und sie versuchten mir zu erklären, dass ihre Uniformen Dienstnummern trügen und dass ein Streifenwagen vor der Tür stehe. Ich fragte sie, wie sie beweisen könnten, dass sie das Auto nicht gestohlen hätten, und riet ihnen, sie sollten zur Wache zurückkehren und ihre Ausweise holen.

Schließlich fuhren wir gemeinsam zur Wache. Die anderen Polizisten waren ein wenig verblüfft, als sie sahen, dass da Leute vom Sicherheitsdienst gebracht wurden, um ihre Aussagen aufzunehmen. Einer der Beamten übernahm sowohl die Befragung als auch das Protokoll – es war wirklich lächerlich. Aber ich bewies Nachsicht und setzte meine Unterschrift darunter. Doch dann weigerten sie sich, mir eine Bestätigung darüber auszustellen, dass ich Anzeige erstattet hatte. Sie sagten, es habe sich lediglich um eine „Diskussion“ gehandelt, was nicht rechtswidrig sei. Ich erwiderte, ich hätte die Nummer des Notrufs nicht zum Spaß gewählt, und rief meinen Rechtsanwalt Hao an. […] Die Beamten, die meine Anzeige aufnehmen sollten, verschwanden. Ich stürmte empört zur Tür – keine Übertreibung – und brüllte sie an, dass sie das Geld der Steuerzahler verschwendeten und dass sie verlogen und erbärmlich seien. Sollten sie die Tür nicht sofort öffnen, schrie ich, würde diese Polizeiwache gleich keine Tür mehr haben.

Dann fuhr ich nach Hause, um meine Mutter zu beruhigen. Als ich das Haus verließ, lungerten dieselben Männer vom Sicherheitsdienst wieder vor der Tür herum, als hätten sie noch nicht genug zu melden gehabt. Ich sah mich gezwungen, erneut den Notruf zu wählen. Diesmal waren die Beamten professionell und konnten sich als Polizisten ausweisen. Sie ließen die Sicherheitsbeamten aus dem Bezirk Dongcheng gehen und begannen eine freundschaftliche Unterhaltung mit den Sicherheitsbeamten aus dem Bezirk Chaoyang.

Ich sagte ihnen, sie sollten bei ihrem nächsten Besuch Handschellen mitbringen oder zumindest jemanden schicken, der vollständige Sätze formulieren könne.

Ich kann nur alle ermuntern, sich diesen und viele anderen Blogbeiträgen Ais zu widmen. Wem dies aber zu mühsam ist und zu lange dauert, dem seien die Gespräche von Ai mit Hans Ulrich Obrist, abgedruckt in einem Buch des Hanser-Verlags, empfohlen, die einen guten ersten Eindruck von der Vielfalt seines Schaffens gibt. Atmosphärisch bietet Klaymans Film „Never sorry“ obendrein eine phantastische Ergänzung.

Mittlerweile wird Ai, der zwischenzeitlich im Gefängnis saß und derzeit das Land nicht verlassen darf, obwohl er eine Gastprofessur in Berlin angenommen hat, längst neue Projekte planen, mit denen er uns einmal mehr überraschen wird. Denn Ai ist immer in Bewegung, bleibt immer überraschend, immer unbequem. Ein Querdenker. Es ist ein Segen, dass die zwei genannten Bücher und der Film von Alison Klayman uns einen Zugang zu diesem Mann ermöglichen wollen, dem Konsequenten, immer vorwärtsdrängenden.

Danke.

DVD: „Ai Weiwei Never Sorry“. Ein Film von Alison Klayman. Ca. 19,99 Euro.

Ai Weiwei (2011): Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog. Berlin: Galiani. Ca. 19,99 Euro.

Ai Weiwei/Obrist, Hans Ulrich (2011): Ai Weiwei spricht. München: Hanser Verlag. Ca. 14,90 Euro.

Mehr „Bücher des Monats“ gibt’s hier.

Und alle Beiträge zum Thema China auf dem Bretterblog sind hier aufgeführt.

ein Kommentar

  1. Nachtrag:
    Ai Weiwei hat gerade dieser Tage ein vieldisktutiertes Video, in dem er sich derber Schimpfwörter bedient, veröffentlicht, das wohl als Reaktion auf seine Inhaftierung verstanden werden muss.
    Das Video findet sich hier:

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