Der Soldat 2.0 – Cyborg in Uniform?

So eindrucksvoll moderne Waffensysteme auch sein mögen, die größte Schwachstelle im Krieg waren, sind und bleiben die Soldaten selbst. Bewaffnete Konflikte werden schließlich immer noch von Menschen gekämpft. Es ist allerdings fraglich, wie lange das noch der Fall sein wird. Auf der einen Seite wird immer stärker auf Drohnen (bisherige Beiträge zum Thema „Drohnen“: hier und hier) und andere unbemannte Systeme gesetzt, auf der anderen Seite wird aber auch bei den physischen und psychischen Schwachstellen angesetzt und versucht, den menschlichen Körper durch den zielgerichteten Einsatz von Technik zu verbessern. Die Technik ist heute schon viel weiter als wir glauben möchten – wie sind auf dem Weg die Grenzen des Menschenmöglichen zu verschieben.

Militärisches „Human Enhancement“ im 21. Jahrhundert

Wir wissen genug über Biologie und Chemie, Genetik, Neurologie, über IT- und Roboterforschung oder moderne Materialien, um den menschlichen Körper nicht nur zu verstehen, sondern seine Eigenschaften oder Funktionen auch zielgenau verbessern zu können. „Human Enhancement“ wird dieser Forschungsbereich im Fachjargon genannt. Darunter versteht man medizinische, chemische oder biotechnologische Interventionen, deren Ziel nicht primär therapeutischer oder präventiver Art sind, sondern die auf die Verbesserung der psychischen oder physischen Leistungsfähigkeit des Menschen abzielen. Und wie in vielen anderen Technologiebereichen nimmt auch hier das Militär eine Vorreiterrolle ein.

In der Vergangenheit hat sich das Enhancement vor allem auf das Einnehmen leistungssteigernder Substanzen beschränkt – im Sport würde man es Doping nennen. So wurden z.B. im zweiten Weltkrieg Methamphetamine von Soldaten bereits millionenfach eingenommen. Aber auch Steroide oder andere Anabolika wurden und werden genutzt, um den Körper leistungsfähiger zu machen. Modafil, ein Medikament, das die US-Streitkräfte z.B. in Afghanistan eingesetzt haben, bewirkt, dass Schlafentzug bis zu 48 Stunden nur sehr geringe Auswirkungen auf Konzentration, Gedächtnis und kognitive Prozesse hat. Aber Arzneien können die grundlegenden menschlichen Eigenschaften nicht dauerhaft erweitern. Vielversprechender erscheinen tatsächliche Modifikationen des menschlichen Organismus durch Implantate oder robotische Prothesen sowie die Optimierung des menschlichen Erbguts, das sogenannte „genetic engineering“.

Einige illustrative Beispiele geben einen kleinen Eindruck, auf welche Bereiche sich die aktuelle Forschung konzentriert:

Die unüberschaubaren Risiken und ungelöste Fragen

Auch wenn genetisch optimierte und mit robotischen Prothesen und Implantaten ausgestattete Cyborgs – Mischwesen zwischen Körper und Technik – wohl eher übermorgen als morgen Realität werden, so erscheint eine Diskussion über „Human Enhancement“ mehr als geboten. Neben ethisch-moralischen Bedenken und die prinzipielle Fehlerhaftigkeit der Systeme müssen dabei nicht nur die Auswirkungen auf den individuellen Soldaten, sondern auch auf das im Krieg anzuwendende humanitäre Völkerrecht und Aspekte der Rüstungskontrolle bedacht werden.

  • Der Soldat ist Herr über seinen Körper und hat ein Recht auf Naturbelassenheit. Wenn überhaupt, dann sollte das Militär dem individuellen Soldaten eine informierte Entscheidung darüber ermöglichen, ob er oder sie selbst „verbessert“ werden möchte. Wie dies in einem Umfeld von militärischer Disziplin erfolgen kann ist dringend zu erörtern – gilt die Befehlskette und Gehorsam auch für den eigenen Körper sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten? Abschreckende Beispiele gibt es zur Genüge, wie z.B. die massenhafte Verwendung von Soldaten in „medizinischen“ Versuchen unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen oder gänzlich ohne Wissen der Probanden. Die Würde des Soldaten endet ja nicht am Kasernentor – wobei natürlich schon geklärt werden müsste, ab wann man weniger Mensch als Roboter – praktisch ein Cyborg – ist und ob dann andere ethische Regeln gelten (vorausgesetzt, dass sich menschliche und robotische Ethik unterscheiden).
  • Das humanitäre Völkerrecht regelt in bewaffneten Konflikten den Einsatz von Gewalt und verbietet gewisse Waffenkategorien, unter anderem auch biologische Waffen. Wird der Mensch durch die Integration von Technik immer weniger Mensch und immer mehr Roboter, dann stellt sich auch die Frage, ob nicht auch der Soldat selbst durch genetische „Verbesserungen“ zum „biological agent“ und damit zur möglicherweise verbotenen Bio-Waffe wird. Das Völkerrecht schreibt ebenfalls strenge Regeln für den Umgang mit Kriegsgefangenen vor und verbietet Folter. Gelten in diesen Bereichen andere Regeln für Cyborgs – und wenn ja, welche?
  • Neue militärische Technologien haben stets Auswirkungen auf den Bereich der Rüstungskontrolle und stellen potenzielle Proliferationsrisiken dar. Abhängig von der Bewertung von „Human Enhancement“ muss auch geklärt werden, wie die Verbreitung dieser Technologien kontrolliert, eingeschränkt oder gegebenenfalls verhindert werden kann.

In der anstehenden Diskussion muss es um die Frage gehen, ob und wenn ja in welchem Ausmaß „Human Enhancement“ erlaubt sein soll. Zudem muss geklärt werden, welche Bereiche nicht erforscht werden sollen und wo die Grenzen liegen – basierend auf ethisch-moralischen Abwägungen. Diese Diskussion sollte sich insbesondere auf militärische Applikationen von „Human Enhancement“ konzentrieren, denn der Soldat der Zukunft könnte das Paradebeispiel für die Integration von Technik und Körper darstellen. Die Entscheidungen, die anstehen, sind zu bedeutend als sie Soldaten, Wissenschaftlern und Rüstungsfirmen zu überlassen, sondern müssen gesellschaftlich diskutiert werden – gerade wenn die Auswirkungen auf Freiheit und Sicherheit des Individuums, das Völkerrecht und Rüstungskontrolle unabsehbar sind. Heute wird aber schon eine Tendenz deutlich: durch „Human Enhancement“ wird der Mensch wohl nicht zu einem besseren moralischen Wesen, sondern im schlimmsten Fall zu einer Art Übermenschen – mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

Christian Weidlich hat Politikwissenschaft und Germanistik sowie Internationale Studien und Friedens- und Konfliktforschung studiert. Er ist Projektmitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt am Main.

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..